In einer Pressemitteilung vom 24.6.14 kritisiert der CDU Ortsverband Münster vertreten durch ihren Kreisvorsitzenden Josef Rickfelder den Aufruf des “Keinen Meter”-Bündnisses zur Demo “Polizeigewalt muss Konsequenzen haben” am 4.7.14 in Münster. Wir möchten an dieser Stelle kurz auf die dort geäußerte inhaltliche Kritik antworten:
Herr Rickfelder empfindet es als “falsch und ehrenrührig”, dass der Aufruf zur Demo den Eindruck erweckt, Polizeigewalt – oder “übermäßige Polizeigewalt” wie Herr Rickfelder sie lieber nennt – wäre in Deutschland alltäglich. Sachliche Argumente werden für diese kernige Gegendarstellung allerdings keine angeführt. Wir legen den Autor_innen deshalb nahe, die – übrigens auch im Bündnisaufruf verlinkten – wissenschaftlichen Arbeiten zu Fällen von Polizeigewalt und dem Verlauf von Strafverfahren gegen Polizist_innen nochmal in Ruhe zu lesen [1] [2]. Alleine die von der Polizei selbst erstellte polizeiliche Kriminalstatistik listet für das Jahr 2012 mehr als 2300 Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt auf. Das sind mehr als 6 Fälle pro Tag. Insofern lehnt sich niemand mit der Formulierung “alltäglich” aus dem Fenster. Zieht man in Betracht, dass laut aktuellen Stand der kriminologischen Forschung erhebliche Hemmnisse bestehen, als Betroffene_r überhaupt Anzeige gegen Polizist_innen zu erstatten, kann man sogar von einer erheblich höheren Dunkelziffer ausgehen. Die niedrige Verurteilungsquote in den Verfahren widerlegt diese These nicht – sie zeigt vielmehr auf, welche strukturellen Probleme bei der Aufklärung und Verfolgung von Polizeigewalt bestehen. Diese strukturellen Probleme sind ebenfalls hinreichend belegt und – außerhalb der Polizei und ihrer Lobbygruppen – unumstritten. Auch hier gibt es Untersuchungen zzgl. obige Links), deren Lektüre wir vor der Veröffentlichung der nächsten Pressemitteilung empfehlen.
Kritik an der Polizei ist für Herr Rickfelder augenscheinlich gleichbedeutend mit einem Verrat an der Polizei (“in den Rücken fallen”). Mit dieser pauschalen Verteidigung der eigenen Kolleg_innen – Herr Rickfelder ist selbst Polizist gewesen – liefert er auf (ehren)rührende Art und Weise ein weiteres Beispiel für den Korpsgeist innerhalb der Polizei: Die reflexhafte Inschutznahme von Verdächtigen. Dies bestätigt u.a. Joachim Kersten, Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, in der Süddeutschen Zeitung. Vielleicht könnte Herr Rickfelder hier den kurzen Weg nach Hiltrup nutzen und sich von Herrn Kersten einige Ansätze [3] [4] [5] erläutern lassen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen. Dass Herr Rickfelder einfordert, die Politik habe bedingungslos an der Seite der Polizei zu stehen, offenbart darüber hinaus ein recht befremdliches Staatsverständnis. (Hinweis am Rande: Georg Kreisler wollte „Schützen wir die Polizei“ nicht wortwörtlich verstanden wissen)
Anstelle Zeit mit selbstkritischer Reflexion zu verschwenden, geht Rickfelder mit seinem Kreisverband lieber zum Angriff über. Er beklagt lautstark, dass die Gewalt gegen Polizist_innen nicht thematisiert werde. Das Argument “ja, ich hab zugehauen, aber ich hab mir dabei auch wehgetan” ist uns allen zwar von den Spielplätzen unserer Kindheit bekannt, funktioniert hier aber genausowenig wie damals gegenüber Eltern und Erzieher_innen. Von den Vertreter_innen der Polizeigewerkschaften wird es trotzdem immer wieder hervorgebracht, um von den eigenen bzw. eigentlichen Problemen abzulenken. Hier werden zwei Aspekte vermischt und versucht, eine Ursache-Wirkung-Beziehung aufzubauen, die keinerlei objektiver Betrachtung standhält. Wenn Polizist_innen mit einem staatlichen Gewaltmonopol nicht in der Lage sind, hier zu differenzieren und die an sie gesetzten Ansprüche zu erfüllen, sollten sie ernsthaft über eine Umschulung nachdenken. Warum Herr Rickfelder den Schluss zieht, wer die Polizei kritisiert, müsse gleichzeitig auch für sie sprechen, erschließt sich uns nicht.
Zu guter Letzt bleibt noch der Vorwurf, das “Keinen Meter”-Bündnis würde sich mit der Demo “völlig anderen Themen zuwenden”. Zur Erinnerung: Der 3. März 2012 wurde immer wieder von Polizeigewalt überschattet, welche größtenteils folgenlos für die Täter_innen blieb. Die Polizei setzte an diesem Tag den Naziaufmarsch durch das Rumphorstviertel rigoros durch. Ohne ihr “leidenschaftliches Engagement” hätte der Naziaufmarsch nicht stattgefunden. Vor und nach dem Aufmarsch betrieb die Polizei, vertreten durch Polizeipräsident Hubert Wimber (für Herrn Rickfelder sicherlich ähnlich schockierend wie für uns: Ein Grüner im doppelten Sinne), aktive Öffentlichkeitsarbeit und machte sich so selbst zum politischen Akteur. Wer vom 3. März 2012 in Münster spricht, kommt am Thema Polizeigewalt und dem Umgang damit nicht vorbei. Und das hat sich die Polizei ganz alleine selbst zuzuschreiben.
PS: Ein Blick nach Dortmund und ins Düsseldorfer Innenministerium beweist, dass das Dogma “Die Polizei macht keine Fehler” keine exklusive Angelegenheit der CDU ist. SPD-Innenminister Jägers Ministerium hat kürzlich ein bemerkenswertes Dokument veröffentlicht, in dem allen Ernstes der Nazi-Angriff vom 25. Mai am Dortmunder Rathaus zu einer “Links-Rechts-Auseinandersetzung” hingebogen wird. Die Polizei habe natürlich einen vorbildlichen Einsatz gefahren, der dann leider von “betrunkenen Politikern” behindert worden sei. Ne, ist klar…