Die Politikwissenschaftlerin und Bloggerin Katharina Nocun stellte am Sonntag Nachmittag die Ergebnisse ihrer für die Heinrich-Böll-Stiftung erstellte Studie zur Sozialpolitik der AfD vor. Dazu hatte Nocun sämtliche programmatische Schriften der Partei analysiert. An den Positionen der AfD zum Mindestlohn, zur Leiharbeit, zu Arbeitslosengeld und „Hartz IV“ sowie zur Steuerpolitik machte die Referentin deutlich, dass die Partei Positionen vertritt, deren Umsetzung die Lebenssituation von abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen massiv verschlechtern würde. Geprägt von radikalen neoliberalen Ansichten lehnt die AfD zum Beispiel eine Erhöhung von Hartz-IV-Sätzen ab, fordert die Einführung von Zwangsarbeitsdiensten für Erwerbslose („Bürgerarbeit“), überlegt die Arbeitslosenhilfe und die gesetzliche Unfallversicherung zu privatisieren, beklagt eine „Überregulierung“ von Zeit- und Leiharbeit und fordert die Abschaffung der Erbschaftssteuer und niedrige Spitzensteuersätze. Alle Forderungen der AfD sind Angriffe auf sozialstaatliche Absicherungen und das Solidarprinzip. Dies geht mit einer Rhetorik einher, die Empfänger_innen von „sozialstaatlichen Leistungen“ diffamiert und den Sozialstaat in die Nähe von – in den Worten der AfD – „Merkel-Sozialismus“ oder „Planwirtschaft im Sinne Honneckers“ rückt.
Am Beispiel der Positionierung zum Mindestlohn zeigte Nocun auf, dass der Wechsel an der AfD-Spitze von Lucke zu Petry und der gewachsene Einfluss des völkisch-nationalistischen Flügels nicht zu Änderungen in den sozial- und wirtschaftspolitischen Positionen führte. Zwar hat die AfD, die zuvor vom Mindestlohn als -“Jobkiller-Gesetz“ sprach, mittlerweile die Befürwortung des Mindestlohn in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen; sie schreibt aber nicht, wie der Mindestlohn ausgestaltet werden soll. Zugleich lehnen einzelne Landesverbände weiter offiziell den Mindestlohn ab und führende AfD-Politiker fordern, dass der Mindestlohn nicht für Arbeitnehmer_innen gelten soll, die ein bestimmtes „Produktivitätsniveau“ nicht erreichen würden. Hier soll dann der Staat den Unternehmen Zuschüsse zum Lohn zahlen, damit der Mindestlohn erreicht werden kann. Solche Vorstellungen haben mit einem Mindestlohn nichts gemein.
Die AfD bleibt bei ihrem politischen Kurs, der einzig die Interessen der reichen Vermögensbesitzer und des Kapitals bedient. Trotzdem erreichte sie bei den letzten Landtagswahlen großen Zuspruch aus den Reihen der Erwerbslosen und Arbeiter_innen. Nocun hofft, dass eine Aufklärung über die sozialpolitischen Forderungen, Arbeiter_innen und Erwerbslosen aufzeigt, dass sich die Wahl der AfD gegen ihre eigenen Interessen richtet. In der Wahlkampfagitation der AfD sind die sozialpolitischen Positionen nur ein Randthema. Im Wahlkampf setzt sie auf die Ablehnung von Zuwanderung und Asyl, verbunden mit der Behauptung, Migrant_innen und Geflüchtete würden dem „deutschen Arbeitnehmer“ bzw. „Steuerzahler“ Geld und Ressourcen wegnehmen. Nocun sprach in diesem Zusammenhang von „neidgesteuerten Debatten“, mit denen verschleiert würde, dass der Angriff auf die Einkommen und soziale Sicherheit von abhängig Beschäftigen von der AfD selbst drohe.